Bisher war es in jedem Jahr so: Vorjahressaatgut verschenken, verfüttern oder entsorgen, da mich die Erfahrung gelehrt hat, dass in der jetzigen Zeit nur frisches Saatgut eine vernünftige Ernte bringt. Ein klein wenig meine ich allerdings, dass das früher anders war. Da benutzte man die Möhrensaattüte mindestens drei Jahre lang und erntete trotzdem ordentlich. Oder bilde ich mir das nur ein? Ganz gleich – heute kaufe ich in jedem Jahr neuen Samen. Oder besser: kaufte; denn seit einiger Zeit bin ich bei bestimmten Sorten unter die Selbsterzeuger gegangen; und das hat mehrere Gründe.
So bekam ich zum Beispiel die Tomatensorte „Montserrat“ nicht mehr im Handel. Auf der Landesgartenschau in Kamp-Lintfort hatte ich aber mehrmals gehört, wie toll diese Sorte doch sei. Zufällig konnte mir Karl-Heinz, Freund, Nachbar und langjähriger Hobbygärtner, noch eine Pflanze besorgen. Und tatsächlich: „Montserrat“ hielt, was mir völlig fremde Menschen versprochen hatten: große Früchte, schmackhaft und reichtragend. Da wäre es doch wirklich viel zu schade, die Samenkörnchen in den Früchten einfach nur aufzuessen; zumal diese Sorte samenecht ist, d.h. dass aus den Samen wieder die gleiche Pflanze wächst. Warum also nicht mal probieren, eigenes Saatgut zu machen!? Logisch erschien es mir sogleich, den Schwabbelkram um ein Samenkorn im feuchten Zustand abzumachen, da dieser sich beim Trocknen fest um das Samenkorn krallen würde, was später beim Aussäen hinderlich sein könnte. Im Internet las ich: „Die Tomate aufschneiden und mit einem kleinen Löffel die Samen zusammenschaben und mit dem Fruchtfleisch in ein Glas geben, dann Wasser drauf gießen. Innerhalb von zwei bis vier Tagen lösen sich die Samen von der gallertartigen Masse und sinken zu Boden.“
Zwei bis vier Tage warten – nee, das musste doch auch einfacher gehen. Also habe ich das Tomateninnere in ein Sieb gekratzt und unter laufendem Wasser erst einmal kräftig abgespült. Da hatte sich die Masse bereits mehr als halbiert. Jetzt habe ich diesen Rest nur noch abtropfen lassen und auf ein Papier-Küchentuch gegeben. Nun fing die Fummelarbeit an: mit der stumpfen Seite von einem kleinen Schälmesser habe ich mir jetzt jedes Körnchen einzeln vorgenommen, es vorsichtig aus dem Schwabbelsäckchen gedrückt und anschließend auf ein anderes Küchentuch zum Trocknen platziert. Okay, ich war 20 Minuten voll konzentriert damit beschäftigt – aber immer noch wesentlich schneller als vier Tage Warterei. Um sicher zu gehen, dass diese Methode auch funktioniert hat, habe ich eine Keimprobe gemacht. Und siehe da: von zehn Samen keimten neun. Um jetzt noch zu verhindern, dass die so mühsam einzeln gewonnenen Samen später nicht schimmeln, habe ich sie noch ein paar Tage offen liegen lassen und dann in ein kleines Schraubglas verpackt. Das habe ich natürlich beschriftet, um mich nicht im Frühjahr zu fragen, was das in dem Glas denn wohl sein könnte… Das Ganze ist schon ein paar Jahre her; seitdem baue ich die „Montserrat“ in jedem Jahr mit Erfolg an – aus eigenem Saatgut!
Nun wusste ich also, dass eigenes Saatgut zu erzeugen kein Hexenwerk ist. Meine nächste Herausforderung war Paprika. Wie schon in meiner Kolumne im April 2024 beschrieben, hatte ich etliche Körnchen einer namenlosen Paprikasorte aus Rom bekommen. Einige davon hatte ich selbst ausgesät, aber auch viele an befreundete Hobbygärtner verschenkt. Diese Paprika war tatsächlich etwas ganz anderes als die Paprikasorten, die bisher in meinem Gewächshaus wuchsen. Die Pflanze wurde lediglich 50-60cm hoch, trug zwar nicht allzu große Früchte, dafür aber sehr reichlich und die Ernte setzte um einiges eher ein als ich es bisher gewohnt war. Alles in allem: ich war mehr als zufrieden mit dieser neuen Sorte. Enttäuschend war lediglich die Samenausbeute, da in manchen Früchten nur ein bis zwei Körnchen zu finden waren: schön zum Verarbeiten in der Küche aber ein wenig frustrierend bei den Gedanken ans nächste Jahr. Im Gegensatz zur Tomate ist das Samengewinnen beim Paprika Kinderkram: rauskratzen und einfach trocknen lassen, um sie danach in einem kleinen Schraubglas (Beschriftung!) zu lagern. Wichtig dabei ist immer, dass die Sorten samenfest sind und es sich also nicht um F1 Hybriden handelt, bei denen man ja nie genau weiß, was für eine Pflanze später aus dem Samen sprießen wird.
Mittlerweile habe ich allerdings zwei samenfeste Paprikasorten, die natürlich fast völlig identisch aussehende Samen haben, deshalb muss ich beim Einlagern besonders aufmerksam sein und die Schraubgläschen nicht verwechseln. Die zweite namenlose und samenfeste Paprikasorte (oder besser: Chilisorte) ähnelt der „Lila Luzy“– allerdings mit größeren, länglichen und hängenden Früchten. Aber mit dem gleichen Showeffekt: aus der lila Blüte entwickelt sich eine relativ kleine, dunkellila Frucht. Diese wechselt bis zur Reife ständig ihr Aussehen: aus dem Lila wird ein Hellgelb, das sich immer mehr ins Orange und schließlich in ein Feuerrot verwandelt. Da sich an der Pflanze Früchte in verschiedenen Reifestadien befinden, ist diese Chili ein leuchtendbunter Hingucker. Natürlich sind die Früchte essbar – aber höllisch scharf. Doch alleine als Zierpflanze ist sie schon etwas Besonderes. Wie gesagt: sie ist namenlos, da sie irgendwann auf dem Komposthaufen der Hochschule Rhein-Wal in Kleve gefunden wurde und keiner Sorte zugeordnet werden konnte. Zufälligerweise habe ich einige Körnchen davon bekommen. Mit meiner bisherigen Samengewinnungserfahrung war natürlich klar, dass auch diese „Lange Lila Luzy“ in mein Repertoire aufgenommen wurde.
Nicht nur beim Gemüse, auch bei Zierpflanzen gehöre ich mittlerweile zu den Samensammlern. Insbesondere bei der Prunkwinde war mir aufgefallen, dass sie sich im Garten gerne selbst aussät und daraus wieder prächtige Blüten entstehen. Klar, dass ich für sie ebenfalls ein Schraubglas reserviert habe. Bei den Studentenblumen, sprich Tagetes lasse ich die Samenstände aber lieber an der Pflanze. Wachsen nämlich mehrere Sorten im Garten, passiert es garantiert, dass aus den Samen zwar wieder Tagetes kommen – aber das Aussehen muss dann nicht den Vorjahrespflanzen entsprechen. Tagetes liebt es, wie auch die Akelei, spontan Mischungen und Neukreationen zu entwickeln.
Als Hobbygärtner macht es mir total Spaß (und ein ganz klein wenig auch stolz), zu sehen, wie aus den von mir gesäten Körnern Pflanzen wachsen, die wir essen oder anderweitig genießen können. Und noch viel mehr Spaß macht es mir, wenn diese Pflanzen auch noch aus eigenem Saatgut hervorgekommen sind, das man manchmal nicht einmal im Handel bekommen kann.